Veröffentlicht am März 15, 2024

Das neue Schweizer Beschaffungsrecht (BöB/VöB) ist kein Hindernis, sondern Ihr stärkster Hebel, um sich gegen Billiganbieter durchzusetzen.

  • Qualitäts- und Nachhaltigkeitskriterien wiegen heute oft mehr als der Preis.
  • Die strategische Berechnung der Lebenszykluskosten (LZK) legitimiert höherpreisige, aber langlebigere Produkte.

Empfehlung: Fokussieren Sie Ihre Angebotsstrategie nicht auf den Preis, sondern auf die lückenlose und juristisch einwandfreie Dokumentation Ihrer Nachhaltigkeitsleistung.

Für viele Schweizer KMU gleicht der Kampf um öffentliche Aufträge einem zermürbenden Preiskampf. Man investiert in Qualität, Innovation und langlebige Materialien, nur um am Ende von einem Konkurrenten unterboten zu werden, der auf den ersten Blick günstiger ist. Diese Frustration ist verständlich, basiert jedoch auf einer veralteten Annahme: dass der tiefste Preis das alleinige Zünglein an der Waage ist. Seit der Totalrevision des öffentlichen Beschaffungsrechts im Jahr 2021 hat sich das Spielfeld fundamental verändert. Nachhaltigkeit ist nicht länger ein „Nice-to-have“, sondern ein hartes, strategisches Zuschlagskriterium.

Die neuen Regelungen im Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) und der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) schaffen einen Paradigmenwechsel. Die Herausforderung für KMU liegt nun darin, diesen Wandel nicht als zusätzliche bürokratische Hürde zu sehen. Im Gegenteil: Es ist eine strategische Chance. Die neuen Gesetze liefern Ihnen die juristischen Werkzeuge, um die Überlegenheit Ihrer höherpreisigen, aber nachhaltigeren und qualitativ besseren Lösungen zu beweisen. Es geht darum, den Fokus der Beschaffer von den reinen Anschaffungskosten auf die Gesamt-Wirtschaftlichkeit über den gesamten Lebenszyklus zu lenken.

Doch wie gelingt dieser strategische Schwenk? Wenn die wahre Kunst nicht mehr darin besteht, der Billigste zu sein, sondern der nachweislich Beste? Dieser Artikel ist kein theoretisches Rechtsgutachten, sondern eine strategische Anleitung für die Praxis. Er zeigt Ihnen, wie Sie die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen als Hebel nutzen, welche Nachweise wirklich zählen, wie Sie Lebenszykluskosten zu Ihrem Vorteil auslegen und welche formalen Fehler Sie unbedingt vermeiden müssen, um nicht schon vor der eigentlichen Bewertung aus dem Rennen zu fallen. Wir werden die rechtlichen Anforderungen in konkrete, gewinnbringende Angebotsstrategien übersetzen.

Dieser Leitfaden führt Sie durch die entscheidenden Aspekte der neuen Beschaffungswelt. Sie lernen, wie Sie Ihre Nachhaltigkeitsbemühungen nicht nur dokumentieren, sondern strategisch als entscheidenden Vorteil in jedem Angebot positionieren.

Warum ist der „tiefste Preis“ seit 2021 nicht mehr das einzige Zuschlagskriterium?

Die Totalrevision des Beschaffungsrechts markiert eine Abkehr von der reinen Preisorientierung hin zu einem Qualitätswettbewerb. Gemäss Art. 29 BöB/IVöB erhält den Zuschlag nicht mehr das günstigste, sondern das vorteilhafteste Angebot. Diese juristische Neuausrichtung ist der zentrale Hebel für qualitätsorientierte KMU. Das „vorteilhafteste Angebot“ wird anhand verschiedener Zuschlagskriterien ermittelt, zu denen neben dem Preis explizit auch Nachhaltigkeit, Innovationsgehalt, Plausibilität des Angebots und Lebenszykluskosten gehören. Für Sie als Anbieter bedeutet das: Ein höherer Preis kann und soll durch eine überlegene Leistung in diesen Qualitätskategorien gerechtfertigt werden.

Die Vergabestellen sind nun nicht nur berechtigt, sondern angehalten, der Qualität ein erhebliches Gewicht beizumessen. Die Praxis zeigt, dass dieser Wandel bereits stattfindet. So kann gemäss Empfehlungen der Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren (KBOB) die Gewichtung von Qualitäts- und Nachhaltigkeitskriterien je nach Ausschreibung zwischen 30% und 80% liegen. Eine Analyse aktueller Ausschreibungen auf der Plattform simap.ch in Ihrer Branche wird Ihnen schnell zeigen, dass der Preis oft nur noch mit 20-40% in die Gesamtwertung einfliesst. Ihre strategische Aufgabe ist es daher, in den hoch gewichteten Qualitätskategorien die maximale Punktzahl zu erreichen und so einen Preisnachteil mehr als zu kompensieren.

Diese Verschiebung erfordert eine neue Denkweise bei der Angebotsgestaltung. Sie müssen aufhören, in reinen Produktkosten zu denken, und anfangen, eine überzeugende Wert-Argumentation aufzubauen. Jeder Nachhaltigkeitsvorteil, jede längere Lebensdauer und jede geringere Umweltbelastung muss quantifiziert und als direkter Mehrwert für die Vergabestelle präsentiert werden. Die gesetzliche Grundlage dafür ist geschaffen; es liegt an Ihnen, sie strategisch zu nutzen.

Ihr Plan zur Kriterien-Matrix für die nachhaltige Beschaffung

  1. Kriterien identifizieren: Analysieren Sie die Ausschreibungsunterlagen präzise auf die geforderten Nachhaltigkeitskriterien gemäss BöB/IVöB Art. 29 (z.B. Umweltverträglichkeit, Ressourceneffizienz, soziale Standards).
  2. Kantonale Unterschiede prüfen: Nutzen Sie Wissensplattformen wie WöB, um spezifische kantonale Vorschriften oder Gewichtungen zu verstehen, die von der Bundesebene abweichen können.
  3. Leistung dokumentieren: Sammeln Sie alle relevanten Nachweise Ihrer Nachhaltigkeitsleistung. Dies können Zertifikate, Ökobilanzen oder Lieferantenerklärungen sein.
  4. Gewichtungen analysieren: Überwachen Sie simap.ch, um ein Gefühl für die typische Gewichtung von Preis vs. Qualität in Ihrer spezifischen Branche und bei Ihren Ziel-Vergabestellen zu bekommen.
  5. Vergleichsmatrix erstellen: Erstellen Sie intern eine Matrix, die Ihre nachgewiesenen Leistungen direkt den geforderten Zuschlagskriterium der Ausschreibung gegenüberstellt, um Argumentationslücken zu schliessen.

Welche Zertifikate müssen Sie vorlegen, um bei Gemeindeaufträgen zu punkten?

Zertifikate und Labels sind die Währung der Glaubwürdigkeit im Nachhaltigkeitsdiskurs. Sie dienen als standardisierter und von Dritten überprüfter Nachweis Ihrer Konformität mit bestimmten ökologischen oder sozialen Standards. Für Vergabestellen sind sie ein effizientes Mittel, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Doch die Flut an Labels kann für KMU überwältigend sein. Die strategische Frage lautet nicht „Welche Zertifikate gibt es?“, sondern „Welches Zertifikat hat in meiner Branche und für meine Zielkunden den grössten Hebel?“ Pauschale Empfehlungen sind hier fehl am Platz; die Relevanz eines Labels ist stark branchenabhängig.

Verschiedene Schweizer Nachhaltigkeitslabels auf Holztisch arrangiert

Für ein KMU im Bausektor sind beispielsweise Labels wie Minergie-ECO oder der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) fast schon eine Eintrittskarte, während ein IT-Dienstleister mit einem „swiss hosting“-Label oder einer ISO 14001 für sein Umweltmanagementsystem punktet. Eine Priorisierung ist unerlässlich, um Ressourcen gezielt einzusetzen.

Die folgende Matrix bietet eine Orientierung für die Priorisierung von Labels in Schlüsselbranchen für öffentliche Aufträge in der Schweiz:

Priorisierungsmatrix: Relevante Labels für Schweizer KMU nach Branche
Branche Priorität 1 Priorität 2 Aufwand/Nutzen
Bau/Immobilien Minergie-ECO/SNBS GEAK Hoch/Sehr hoch
Dienstleister EcoEntreprise B Corp Mittel/Hoch
IT/Hosting swiss hosting ISO 14001 Niedrig/Hoch
Energie naturemade star Lokale Labels Mittel/Sehr hoch

Entscheidend ist jedoch: Das Fehlen eines spezifisch geforderten Labels bedeutet nicht das sofortige Aus. Das Gesetz sieht vor, dass auch gleichwertige Nachweise zu akzeptieren sind. Wie eine Publikation des Bundesamts für Umwelt (BAFU) festhält, können KMU ihre Nachhaltigkeitsleistung auch durch konkrete Daten wie vereinfachte Ökobilanzen oder detaillierte Lieferantennachweise belegen. Dies ist ein entscheidender Punkt für KMU, für die sich ein teurer Zertifizierungsprozess nicht immer rechnet. Der Schlüssel liegt in einer transparenten, datengestützten und nachvollziehbaren Dokumentation, die beweist, dass Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung die geforderten Kriterien erfüllt, auch ohne das exakte Label zu besitzen.

Wie rechnen Sie die Lebenszykluskosten schön, um teurere Produkte zu verkaufen?

Die Berücksichtigung der Lebenszykluskosten (LZK), oder Life Cycle Costs (LCC), ist das schärfste Schwert für Anbieter von Qualitätsprodukten. Dieses Kriterium erlaubt es Vergabestellen, nicht nur den Anschaffungspreis, sondern alle Kosten, die ein Produkt über seine gesamte Lebensdauer verursacht, zu bewerten. Dazu gehören Anschaffung, Energieverbrauch, Wartung, Betrieb und Entsorgung. Für ein KMU, das langlebige, energieeffiziente und wartungsarme Produkte anbietet, ist die LZK-Betrachtung die beste Methode, um die eigene wirtschaftliche Überlegenheit gegenüber einem Billigprodukt nachzuweisen.

Die Kunst besteht darin, diese Kosten nicht nur zu berechnen, sondern sie in eine überzeugende Argumentation zu giessen. Sie „rechnen die Kosten nicht schön“, sondern Sie legen sie transparent und vollständig offen, um zu beweisen, dass Ihr initial teureres Produkt über die Zeit das wirtschaftlich vorteilhaftere Angebot ist. Neue Software-Tools, die oft auf künstlicher Intelligenz basieren, ermöglichen schnelle Variantenvergleiche und zeigen, dass Nutzungskosten machen über 80% der Lebenszykluskosten aus, während der Anschaffungspreis oft nur einen Bruchteil darstellt. Diese Erkenntnis ist zentral für Ihre Argumentation.

Ein klassisches Beispiel ist die Beleuchtung einer Schulturnhalle. Ein Billigprodukt mag in der Anschaffung günstiger sein, verursacht aber über zehn Jahre durch höheren Stromverbrauch und häufigere Wartung massiv höhere Gesamtkosten. Ihre Aufgabe ist es, diese Differenz klar und verständlich aufzuzeigen.

Beispiel: LZK-Vergleich für die Beleuchtung einer Schulturnhalle
Kriterium Billigprodukt Qualitätsprodukt Differenz über 10 Jahre
Anschaffungskosten 15’000 CHF 25’000 CHF -10’000 CHF
Energiekosten (10 Jahre) 35’000 CHF 18’000 CHF +17’000 CHF
Wartungskosten 12’000 CHF 5’000 CHF +7’000 CHF
Entsorgungskosten 3’000 CHF 1’000 CHF +2’000 CHF
Gesamtkosten LZK 65’000 CHF 49’000 CHF +16’000 CHF Ersparnis

Die Präsentation einer solchen Berechnung im Angebot ist extrem wirkungsvoll. Sie verlagert die Diskussion vom reinen Preis auf die langfristige Wirtschaftlichkeit und den verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern. Indem Sie der Vergabestelle eine fundierte Entscheidungsgrundlage liefern, die über den Anschaffungspreis hinausgeht, positionieren Sie sich als kompetenter Partner, der den Gesamtkontext versteht.

Der Formfehler bei Nachhaltigkeitsnachweisen, der zum sofortigen Ausschluss führt

Im streng regulierten Umfeld des öffentlichen Beschaffungswesens kann ein einziger Formfehler das Aus bedeuten, noch bevor die inhaltliche Qualität Ihres Angebots überhaupt bewertet wird. Dies gilt insbesondere für die sensiblen Nachhaltigkeitsnachweise. Eine juristisch präzise und formell einwandfreie Einreichung ist keine Kür, sondern eine zwingende Pflicht. Die Vergabestellen haben hier oft keinen Ermessensspielraum; ein formal fehlerhaftes Angebot muss aus Gründen der Gleichbehandlung aller Anbieter ausgeschlossen werden. Für KMU ist die Vermeidung dieser „Formfehler-Falle“ daher von existenzieller Bedeutung.

Zwei Experten prüfen gemeinsam Nachhaltigkeitsdokumente mit Checkliste

Die häufigsten und fatalsten Fehler sind oft banal, haben aber drastische Konsequenzen. Ein Vier-Augen-Prinzip bei der Endkontrolle der Unterlagen ist unerlässlich. Folgende Fehler führen in der Praxis regelmässig zum Ausschluss:

  1. Abgelaufenes Zertifikat: Prüfen Sie die Gültigkeitsdaten aller eingereichten Zertifikate. Ein Nachweis, der am Tag der Angebotseröffnung abgelaufen ist, ist wertlos.
  2. Falsche Amtssprache: Die Nachweise müssen in der Amtssprache der Ausschreibung vorgelegt werden. Eine einfache Kopie in einer anderen Sprache reicht nicht aus; oft ist eine beglaubigte Übersetzung erforderlich.
  3. Pauschaler Nachhaltigkeitsbericht: Reichen Sie niemals einen allgemeinen CSR-Bericht ein, wenn spezifische Fragen zu einzelnen Kriterien gestellt werden. Beantworten Sie jede Frage präzise und belegen Sie sie gezielt.
  4. Verwechslung von Selbstdeklaration und Drittnachweis: Eine der gravierendsten Fallen ist die Annahme, eine eigene Erklärung (Selbstdeklaration) genüge, wo ein von einer akkreditierten Stelle ausgestellter Konformitätsnachweis gefordert wird. Eine juristische Analyse des revidierten BöB bestätigt, dass das Gesetz nun eine Liste von Tatbeständen für einen Ausschluss von Anbietern enthält. Bei kritischen Nachweisen, insbesondere im Umwelt- und Sozialbereich, ist ein unabhängiger Drittnachweis oft zwingend.
  5. Fehlende Unterschrift oder Beglaubigung: Achten Sie penibel darauf, dass alle Dokumente, bei denen es verlangt wird, rechtsgültig unterzeichnet oder beglaubigt sind.

Die strikte Einhaltung der Formvorschriften ist ein Zeichen von Professionalität und Sorgfalt. Sie signalisiert der Vergabestelle, dass Sie ein verlässlicher Partner sind, der die Spielregeln versteht und respektiert. Investieren Sie die nötige Zeit in die formale Qualitätssicherung – es ist die beste Versicherung gegen ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Wettbewerb.

Wann können Sie eine Lösung gemeinsam mit dem Staat entwickeln, statt nur zu liefern?

Das revidierte Beschaffungsrecht öffnet die Tür für eine fortschrittlichere Form der Zusammenarbeit zwischen Staat und KMU: die Partnerschaft anstelle der reinen Lieferantenbeziehung. Insbesondere bei komplexen Problemstellungen, für die es noch keine fertige Marktlösung gibt, können Vergabestellen das Verfahren des kompetitiven Dialogs (gemäss Art. 24 BöB/IVöB) wählen. Dies ist eine immense Chance für innovative KMU, ihre Expertise nicht nur in einem starren Leistungsverzeichnis anzubieten, sondern aktiv an der Lösungsfindung mitzuwirken.

In einem solchen Dialogverfahren beschreibt die Vergabestelle ihre Bedürfnisse und Anforderungen. Anschliessend lädt sie ausgewählte Unternehmen ein, Lösungsvorschläge zu entwickeln und diese in mehreren Runden zu diskutieren und zu verfeinern. Am Ende dieses ko-kreativen Prozesses werden die verbleibenden Unternehmen aufgefordert, ihre finalen Angebote auf Basis der erarbeiteten Lösung einzureichen. Für KMU bedeutet dies die Möglichkeit, die Ausschreibung aktiv mitzugestalten, massgeschneiderte Lösungen zu präsentieren und sich über Innovation und Kompetenz statt über den Preis zu differenzieren.

Fallstudie: Ko-Kreation durch INOS-Netzwerk

Ein Beispiel für eine solche proaktive Zusammenarbeit zeigt die Zanotta AG. Wie das KMU-Zentrum berichtet, konnte das Unternehmen durch die Zusammenarbeit mit staatlichen Innovationsprogrammen neue Geschäftsfelder erschliessen. Pascal Zanotta, der Geschäftsführer, betont: „Wir konnten im vergangenen Jahr einige Herausforderungen dank dem grossen INOS-Netzwerk schnell und unkompliziert lösen“. Durch ein Innovationscoaching, das oft staatlich gefördert wird, wurde sogar eine neue Geschäftssparte gegründet. Dies illustriert, wie KMU durch proaktive Kooperation mit staatlichen Stellen von reinen Lieferanten zu strategischen Innovationspartnern werden können.

Um von diesen Verfahren zu profitieren, müssen KMU proaktiv agieren. Es reicht nicht, auf fertige Ausschreibungen zu warten. Überwachen Sie den Markt, identifizieren Sie die zukünftigen Bedürfnisse von Gemeinden und Kantonen (z.B. im Bereich Energieeffizienz oder Digitalisierung) und treten Sie frühzeitig mit den zuständigen Fachstellen in Kontakt. Präsentieren Sie Ihre Ideen und Kompetenzen, um sich als potenzieller Dialogpartner für zukünftige, komplexe Projekte zu positionieren. So verwandeln Sie sich vom reinen Anbieter zum gefragten Wertschöpfungspartner.

Wie erstellen Sie einen einfachen Nachhaltigkeitsbericht nach KMU-Standard?

Ein Nachhaltigkeitsbericht muss für ein KMU kein 50-seitiges, hochglänzendes Dokument sein. Im Kontext öffentlicher Ausschreibungen ist sein Zweck rein funktional: Er dient als zentrales Sammelgefäss für alle relevanten Nachweise und als strukturierte Antwort auf die Fragen der Vergabestelle. Ein einfacher, aber präziser Bericht ist oft wirkungsvoller als ein vages Marketingdokument. Der Fokus sollte auf Transparenz, Daten und der direkten Verknüpfung zu den in Ausschreibungen geforderten Kriterien liegen. Anstatt grosser Prosa zählen hier Fakten.

Für ein KMU lässt sich ein solcher Bericht in vier pragmatische Schritte gliedern. Wichtig ist, sich an international anerkannten, aber skalierbaren Standards wie denjenigen der Global Reporting Initiative (GRI) zu orientieren, ohne sich in deren Komplexität zu verlieren.

  1. Wesentlichkeit definieren: Analysieren Sie, welche Nachhaltigkeitsthemen für Ihr Geschäftsmodell und Ihre Branche am relevantesten sind. Ein Transportunternehmen sollte sich auf CO2-Emissionen und Flottenmanagement konzentrieren, ein Büro-Dienstleister auf Energieverbrauch, Papier-Recycling und soziale Arbeitsbedingungen. Wählen Sie 3-5 Kernthemen aus.
  2. Daten sammeln und quantifizieren: Für jedes Kernthema benötigen Sie Kennzahlen (KPIs). Messen Sie Ihren Stromverbrauch in kWh, Ihren Abfall in Tonnen, Ihren Wasserverbrauch in Kubikmetern. Dokumentieren Sie soziale Aspekte wie die Anzahl der Ausbildungsplätze oder Weiterbildungsstunden pro Mitarbeiter. Ohne quantifizierbare Daten ist jeder Bericht zahnlos.
  3. Strukturieren und berichten: Gliedern Sie den Bericht einfach nach Ihren Kernthemen. Beschreiben Sie pro Thema kurz Ihr Managementvorgehen (was tun Sie?), präsentieren Sie die gesammelten Daten (wie erfolgreich sind Sie?) und definieren Sie ein konkretes Ziel für das nächste Jahr (was planen Sie?). Das zeigt Engagement und eine kontinuierliche Verbesserung.
  4. Mit Nachweisen verknüpfen: Der entscheidende Schritt für Ausschreibungen ist die Verknüpfung. Verweisen Sie im Bericht direkt auf Ihre Zertifikate (z.B. ISO 14001), Ökobilanzdaten Ihrer Produkte oder Konformitätserklärungen Ihrer Lieferanten. Der Bericht wird so zu einem Inhaltsverzeichnis Ihrer Glaubwürdigkeit.

Ein solcher schlanker, datenbasierter Bericht ist ein mächtiges Werkzeug. Er zeigt nicht nur Ihr Engagement, sondern beweist Ihre Professionalität und liefert der Vergabestelle auf einen Blick alle Informationen, die sie zur positiven Bewertung Ihres Angebots im Kriterium „Nachhaltigkeit“ benötigt.

Wie garantieren Kantone, dass Green-Bond-Gelder wirklich in den Klimaschutz fliessen?

Das Verständnis der Mechanismen hinter kantonalen Green Bonds ist für KMU von strategischer Bedeutung. Wenn ein Kanton oder eine grosse Gemeinde eine grüne Anleihe (Green Bond) ausgibt, um Klimaschutzprojekte zu finanzieren, unterwirft sie sich selbst strengsten Transparenz- und Reporting-Pflichten. Dies schafft eine einzigartige Chance für zuliefernde KMU: Indem Sie die hohen Dokumentationsanforderungen des Kantons verstehen und erfüllen, werden Sie zum idealen Partner. Sie liefern nicht nur ein Produkt, sondern auch den notwendigen Beweis, den der Kanton gegenüber seinen Investoren erbringen muss.

Kantone wie Genf, Zürich oder Basel-Stadt, die bereits erfolgreich Green Bonds platziert haben, setzen auf ein mehrstufiges Sicherungssystem, um Greenwashing zu verhindern und die Mittelverwendung zu garantieren:

  • Klares „Framework“: Vor der Emission wird ein Rahmenwerk definiert, das exakt festlegt, welche Projektkategorien (z.B. erneuerbare Energien, energieeffiziente Gebäude, nachhaltiger Verkehr) mit den Geldern finanziert werden dürfen.
  • Second-Party Opinion (SPO): Eine unabhängige, spezialisierte Agentur prüft dieses Framework und bestätigt in einer öffentlichen „Zweiten Meinung“, dass es den internationalen Green Bond Principles entspricht.
  • „Use-of-Proceeds“-Reporting: Der Kanton verpflichtet sich, jährlich einen detaillierten Bericht zu veröffentlichen. Dieser listet exakt auf, welche Projekte mit wie viel Geld finanziert wurden und welchen quantifizierbaren ökologischen Nutzen (z.B. eingesparte Tonnen CO2) sie erbracht haben.
  • Externe Verifizierung: Oft wird dieser jährliche Bericht zusätzlich von einem externen Wirtschaftsprüfer verifiziert.

Für ein KMU, das beispielsweise an der Sanierung eines öffentlichen Gebäudes beteiligt ist, welches aus einem Green Bond finanziert wird, bedeutet dies: Ihre eigene Dokumentation über die Energieeffizienz der verbauten Fenster oder die Ökobilanz des Dämmmaterials wird zum direkten Input für das kantonale Reporting. Wenn Sie diese Daten proaktiv, standardisiert und verifiziert liefern, machen Sie der Vergabestelle das Leben leichter und positionieren sich als unverzichtbarer Partner, der die gesamte Wertschöpfungskette der Rechenschaftspflicht versteht.

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Paradigmenwechsel im Schweizer Beschaffungsrecht (BöB/VöB) von Preis zu Qualität ist eine juristische Realität und Ihre grösste strategische Chance.
  • Die Analyse der Lebenszykluskosten (LZK) ist das entscheidende Werkzeug, um höherpreisige, aber über die Zeit wirtschaftlichere und nachhaltigere Produkte finanziell zu rechtfertigen.
  • Formale Korrektheit und lückenlose, von Dritten verifizierte Nachweise sind im Vergabeverfahren oft wichtiger als die Nachhaltigkeitsmassnahme selbst und verhindern einen vorzeitigen Ausschluss.

Wie setzen Schweizer KMU eine glaubwürdige CSR-Strategie um, ohne Greenwashing zu betreiben?

Eine glaubwürdige CSR-Strategie im Kontext öffentlicher Ausschreibungen hat nichts mit Hochglanzbroschüren oder vagen Bekenntnissen zu tun. Glaubwürdigkeit entsteht hier nicht durch Kommunikation, sondern durch lückenlose, juristisch belastbare Dokumentation. Greenwashing scheitert im Vergabeverfahren spätestens dann, wenn die Vergabestelle konkrete Nachweise für die aufgestellten Behauptungen verlangt. Eine wirksame Strategie für KMU besteht daher darin, CSR von Anfang an als Teil des Qualitätsmanagements und der Angebotserstellung zu betrachten.

Der Kern einer glaubwürdigen Strategie ist der „Nachweis-Hebel“. Jede CSR-Massnahme muss von der Frage begleitet werden: „Wie können wir dies objektiv belegen, um in einer Ausschreibung Punkte zu sammeln?“ Dies führt zu einem pragmatischen Ansatz:

  • Fokus auf das Messbare: Konzentrieren Sie sich auf Massnahmen, deren Wirkung quantifizierbar ist. Anstatt zu sagen „Wir sparen Energie“, sagen Sie „Wir haben unseren Energieverbrauch um 15% gesenkt, wie aus unseren Stromrechnungen und der Zertifizierung nach ISO 50001 hervorgeht.“
  • Dokumentation als Prozess: Integrieren Sie die Sammlung von Nachhaltigkeitsdaten in Ihre täglichen Abläufe. Machen Sie die Dokumentation von Lieferantenstandards, Materialzusammensetzungen und Entsorgungswegen zur Routine.
  • Transparenz statt Perfektion: Eine glaubwürdige Strategie gibt auch Schwächen zu und zeigt auf, welche Massnahmen geplant sind, um diese zu beheben. Ein Nachhaltigkeitsbericht, der nur Erfolge auflistet, wirkt weniger glaubwürdig als einer, der einen klaren Weg der kontinuierlichen Verbesserung aufzeigt.

Letztlich ist die beste Strategie gegen Greenwashing, die eigene Nachhaltigkeitsleistung als integralen Bestandteil der Produkt- und Dienstleistungsqualität zu verstehen. Wenn Sie beweisen können, dass Ihr Produkt dank überlegener Materialien länger hält (Lebenszykluskosten), unter fairen Bedingungen hergestellt wurde (soziale Kriterien) und am Ende besser recycelt werden kann (ökologische Kriterien), dann ist Ihre CSR-Strategie keine leere Hülle mehr. Sie wird zum Kern Ihrer Wert-Argumentation, die es Ihnen ermöglicht, sich im harten Wettbewerb um öffentliche Aufträge erfolgreich durchzusetzen – nicht trotz, sondern wegen Ihres höheren Qualitätsanspruchs und des dafür notwendigen Preises.

Die Umsetzung einer solchen Strategie ist der letzte Schritt zur Meisterschaft. Um den Kreis zu schliessen, ist es entscheidend, die Prinzipien einer glaubwürdigen, auf Nachweisen basierenden CSR-Strategie zu verinnerlichen.

Beginnen Sie noch heute damit, Ihre Nachhaltigkeitsnachweise nach den hier vorgestellten Kriterien zu auditieren und Ihre Angebotsstrategie konsequent auf Qualität und langfristigen Wert auszurichten. Ihre nächste gewonnene Ausschreibung wird der Beweis sein.

Geschrieben von Sophie Keller, Rechtsanwältin und Compliance-Spezialistin mit Fokus auf Wirtschaftsrecht und bilaterale Verträge Schweiz-EU. Expertin für Vertragsrecht, Wettbewerbsrecht (WEKO) und regulatorische Fragen im grenzüberschreitenden Handel.