Veröffentlicht am Mai 15, 2024

Entgegen der landläufigen Meinung entstehen die höchsten WEKO-Bussen nicht durch grosse Verschwörungen, sondern durch alltägliche Geschäfts-praktiken und falsch verstandene Kollegialität.

  • Informelle Gespräche mit Wettbewerbern, selbst ohne explizite Preisabsprachen, können als Beweis für ein Kartell gewertet werden.
  • Vertriebs- und Exportverträge enthalten oft Klauseln, die nach Schweizer oder EU-Recht als unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen gelten.

Empfehlung: Schützen Sie Ihr Unternehmen nicht nur durch das Befolgen von Regeln, sondern durch die Implementierung proaktiver Prozesse, die gefährliche Verhaltensfallen im Vertrieb und Management von vornherein unterbinden.

Für viele Schweizer Geschäftsleiter und Vertriebschefs scheint das Kartellrecht ein abstraktes Problem für Grosskonzerne zu sein. Ein gemeinsames Mittagessen mit einem Branchenkollegen, eine „unverbindliche Preisempfehlung“ an einen Händler oder ein Exklusivvertrag für ein Vertriebsgebiet – all das wirkt wie normales, legitimes Geschäftsgebaren. Doch genau hier liegt die grösste Gefahr. Die Wettbewerbskommission (WEKO) verhängt regelmässig Millionenbussen nicht für minutiös geplante Konspirationen, sondern für Handlungen, deren kartellrechtliche Brisanz von den Beteiligten komplett unterschätzt wurde.

Die üblichen Ratschläge wie „keine Preise absprechen“ greifen zu kurz. Sie schützen nicht vor den subtilen Verhaltensfallen, in denen sich Führungskräfte und ihre Teams wiederfinden. Das wahre Risiko liegt in den Grauzonen, den unbedachten Äusserungen in einer E-Mail oder einer WhatsApp-Gruppe und den Standardklauseln in Verträgen, die plötzlich als unzulässig eingestuft werden. Wenn die WEKO an die Tür klopft, ist es oft zu spät. Der Schaden für Reputation und Finanzen ist dann bereits immens.

Dieser Leitfaden verfolgt daher einen anderen Ansatz. Statt nur die Regeln aufzuzählen, decken wir die konkreten Situationen und Rechtsirrtümer auf, die in der Praxis zu den teuersten Fehlern führen. Wir betrachten das Kartellrecht aus der Perspektive eines Minenfelds: Es geht nicht darum, die Minen auswendig zu lernen, sondern zu wissen, wo die gefährlichen Felder liegen und wie man sie sicher navigiert. Wir analysieren, warum scheinbar harmlose Handlungen so gefährlich sind, wie Sie Ihren Vertrieb wirksam schulen und welche Haftungsrisiken speziell für exportorientierte Schweizer Firmen lauern.

Der folgende Artikel bietet Ihnen einen praxisnahen Überblick über die kritischsten Themen des Schweizer Kartellrechts. Er ist so strukturiert, dass Sie die häufigsten und kostspieligsten Fehlerquellen identifizieren und proaktive Massnahmen ergreifen können.

Inhaltsverzeichnis: Ihr Weg zur WEKO-konformen Geschäftspraxis

Warum ist der harmlose „Lunch mit der Konkurrenz“ kartellrechtlich brisant?

Die Vorstellung, dass ein informelles Treffen unter Branchenkollegen zu einer Millionenbusse führen kann, erscheint vielen absurd. Doch die Praxis der WEKO zeigt ein anderes Bild. Der Austausch von strategisch sensiblen Informationen – selbst wenn er beiläufig geschieht – kann als unzulässige horizontale Absprache gewertet werden. Dazu gehören nicht nur Preise, sondern auch Informationen über Kunden, Kapazitäten, Kostenstrukturen oder geplante Markteinführungen. Die blosse Teilnahme an einem solchen Gespräch kann ausreichen, um Teil eines Kartells zu werden, wenn man sich nicht aktiv und nachweisbar distanziert.

Das Baukartell in Graubünden ist ein warnendes Beispiel. Hier wurden im Rahmen von Sitzungen des Baumeisterverbandes systematisch Bauprojekte aufgeteilt und Offertsummen koordiniert. Die WEKO verhängte Geldbussen von über 11 Millionen Franken gegen verschiedene Baufirmen. Entscheidend ist, dass solche Absprachen oft in einem Umfeld stattfinden, das von den Beteiligten als kollegial und normal empfunden wird. Der Übergang von einem legitimen Branchenaustausch zu einem illegalen Kartell ist fliessend und wird oft erst im Nachhinein durch eine Untersuchung aufgedeckt.

Fallbeispiel: Das Baukartell Graubünden

Der Graubündnerische Baumeisterverband diente als Plattform für die Koordination von Angeboten bei rund 1160 Bauprojekten. In organisierten Sitzungen teilten etwa 40 Unternehmen die Projekte unter sich auf und legten Offertsummen fest. Die WEKO sanktionierte nicht nur die beteiligten Firmen, sondern machte auch den Verband für die Verfahrenskosten haftbar, da er diese Treffen wissentlich organisiert hatte. Dies zeigt, dass auch Branchenverbände eine erhebliche Mitverantwortung tragen und ihre Veranstaltungen nicht als rechtsfreier Raum für informelle Absprachen missbraucht werden dürfen.

Die Beweislast ist eine weitere Falle. Digitale Spuren in WhatsApp-Gruppen, E-Mails oder Kalendereinträgen können als Beweismittel für eine konzertierte Praxis dienen, selbst wenn keine explizite Vereinbarung vorliegt. Für Geschäftsführer bedeutet das: Es reicht nicht, selbst keine Absprachen zu treffen. Sie müssen sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter die Gefahr erkennen und sich bei Branchentreffen korrekt verhalten, also bei kritischen Themen entweder den Raum verlassen oder ihren Widerspruch dokumentieren.

Letztlich muss jedes Unternehmen eine Kultur der „proaktiven Abgrenzung“ schaffen, in der jeder Mitarbeiter weiss, welche Gesprächsthemen mit Wettbewerbern tabu sind.

Wie schulen Sie Ihren Vertrieb, um unzulässige Preisbindungen zu verhindern?

Der Vertrieb ist die Frontlinie des Unternehmens und damit auch die exponierteste Abteilung für Kartellrechtsverstösse. Eine der häufigsten Verfehlungen ist die vertikale Preisbindung, also die Vorschrift oder der Druck gegenüber einem Händler, Ihre Produkte zu einem bestimmten Mindest- oder Festpreis zu verkaufen. Während „unverbindliche Preisempfehlungen“ (UVP) grundsätzlich zulässig sind, ist die Grenze zur unzulässigen Preisbindung schnell überschritten. Ein Bonus, der an die Einhaltung der UVP geknüpft ist, oder die Androhung von Liefersperren bei Unterschreitung können bereits als illegal eingestuft werden.

Effektive Schulung geht weit über die blosse Verteilung eines Merkblatts hinaus. Sie muss praxisorientiert sein und die konkreten Dilemmasituationen des Vertriebsalltags adressieren. Was antwortet ein Aussendienstmitarbeiter, wenn ein Händler fragt: „Zu welchem Preis soll ich das verkaufen?“ Oder wenn ein grosser Abnehmer Druck ausübt, um exklusive Konditionen zu erhalten, die andere benachteiligen? Die Schulung muss klare, verständliche und rechtssichere Handlungsanweisungen für solche Szenarien liefern.

Interaktive Compliance-Schulung mit Gamification-Elementen

Moderne Schulungsansätze, wie im Bild dargestellt, nutzen interaktive Elemente und Gamification, um das Bewusstsein zu schärfen und die Lerninhalte nachhaltig zu verankern. Rollenspiele, Fallstudien und Quizfragen sind effektiver als trockene Rechtsvorträge. Die Ziele einer solchen Schulung sind klar:

  • Den Unterschied zwischen einer zulässigen UVP und einer verbotenen Preisbindung verstehen.
  • Die Gefahren von Absprachen über Gebietsaufteilungen oder Kundenkreise erkennen.
  • Wissen, wie man auf unzulässige Forderungen von Händlern oder Kunden reagiert.
  • Dokumentieren, was gesagt und vereinbart wurde, um Missverständnisse und falsche Anschuldigungen zu vermeiden.

Eine kontinuierliche Schulung ist kein Kostenfaktor, sondern eine Investition in die Risikoprävention. Jeder neue Vertriebsmitarbeiter sollte vom ersten Tag an entsprechend gebrieft werden, und für das bestehende Team sollten jährliche Auffrischungen zur Pflicht werden. Nur so stellen Sie sicher, dass die Compliance-Kultur im Unternehmen gelebt wird und nicht nur auf dem Papier existiert.

Die Verantwortung liegt letztlich bei der Geschäftsleitung, die nicht nur die Schulungen anordnen, sondern auch deren Wirksamkeit regelmässig überprüfen muss.

Schweizer KG oder EU-Wettbewerbsrecht: Welches ist strenger bei Exklusivverträgen?

Für exportorientierte Schweizer Unternehmen ist die Annahme, dass die Einhaltung des Schweizer Kartellgesetzes (KG) ausreicht, ein gefährlicher Rechtsirrtum. Sobald ein Unternehmen auf dem EU-Markt tätig ist – sei es durch eine Tochtergesellschaft, einen Händler oder Direktverkäufe – unterliegt es auch dem deutlich strengeren EU-Wettbewerbsrecht. Dieses „Doppelrisiko EU/CH“ wird insbesondere bei Exklusiv- und Alleinvertriebsverträgen virulent.

Ein zentraler Unterschied liegt in den sogenannten „De-minimis“-Regelungen, die Vereinbarungen von geringer Bedeutung vom Kartellverbot ausnehmen. Während die EU klare quantitative Marktanteilsschwellen kennt, verfolgt die Schweiz einen qualitativen Ansatz, der auf einer Einzelfallprüfung der „Erheblichkeit“ der Wettbewerbsbeschränkung beruht. Eine Vereinbarung, die in der Schweiz als unerheblich gilt, kann in der EU bereits klar illegal sein.

Die folgende Tabelle zeigt die wichtigsten Unterschiede bei der Beurteilung von vertikalen Vereinbarungen, wie sie typischerweise in Vertriebsverträgen vorkommen.

Vergleich der Wettbewerbsregeln: Schweiz vs. EU
Kriterium Schweiz (KG) EU
Marktanteilsschwelle (horizontal) Qualitative Erheblichkeit 10 % quantitative Schwelle
Marktanteilsschwelle (vertikal) Einzelfallprüfung 15 % quantitative Schwelle
Passivverkäufe (Verkäufe auf unaufgeforderte Anfragen) Beschränkung teilweise zulässig Verbot grundsätzlich unzulässig
Plattformverbote (z.B. Verkauf über Amazon) Fallweise Beurteilung Strenge Kriterien (Coty-Urteil)

Fallbeispiel: Doppelrisiko für Schweizer Maschinenbauer

Ein Schweizer Maschinenbauer schliesst mit seinem französischen Händler einen Exklusivvertrag. Darin wird dem Händler verboten, aktiv Kunden ausserhalb Frankreichs zu beliefern und passiv auf Anfragen aus Deutschland zu reagieren. Während das Verbot des aktiven Verkaufs in beiden Rechtsordnungen zulässig sein kann, ist das Verbot von Passivverkäufen nach EU-Recht ein schwerwiegender Verstoss. Selbst wenn die Klausel nach Schweizer Recht im Einzelfall vielleicht zulässig wäre, riskiert das Unternehmen eine hohe Busse von der EU-Kommission. Durch die EU-Muttergesellschaftshaftung kann der Schweizer Mutterkonzern für das Verhalten seiner EU-Tochter oder sogar nur seines Händlers voll haftbar gemacht werden.

Für Schweizer Unternehmen bedeutet dies, dass jeder Vertriebsvertrag mit einem Partner in der EU einer doppelten Prüfung unterzogen werden muss. Klauseln müssen so formuliert sein, dass sie sowohl dem Schweizer KG als auch dem EU-Wettbewerbsrecht genügen. Im Zweifelsfall gilt: Das strengere EU-Recht gibt den Massstab vor.

Die Ignoranz gegenüber dem EU-Recht ist keine Entschuldigung und kann existenzbedrohende finanzielle Folgen haben.

Der Fehler bei einer WEKO-Razzia, der die Kooperationsbereitschaft zunichte macht

Der Moment, in dem die Ermittler der WEKO mit einem Durchsuchungsbefehl vor der Tür stehen – eine sogenannte Hausdurchsuchung oder „Dawn Raid“ – ist für jedes Unternehmen eine Extremsituation. Inmitten von Hektik und Unsicherheit wird oft der grösste Fehler begangen: das unkontrollierte Reden oder Handeln. Viele Mitarbeiter glauben, durch „Hilfsbereitschaft“ die Situation zu deeskalieren, geben aber dabei unbedacht Informationen preis, die später gegen das Unternehmen verwendet werden. Der entscheidende Fehler, der jede spätere Strategie und mögliche Kooperationsbereitschaft untergräbt, ist die Beweisvereitelung. Das Löschen von E-Mails, das Verstecken von Dokumenten oder das Zurücksetzen von Geräten nach Eröffnung der Untersuchung ist nicht nur strafbar, sondern zerstört auch jede Glaubwürdigkeit gegenüber der Behörde.

Das richtige Verhalten während einer Razzia ist kontraintuitiv: Es geht nicht um maximale Transparenz, sondern um kontrollierte Kooperation. Die oberste Priorität ist es, sofort den externen Rechtsanwalt zu kontaktieren und bis zu dessen Eintreffen zu schweigen. Kein Mitarbeiter sollte Fragen der Ermittler beantworten oder informelle Gespräche führen. Jedes Wort kann und wird protokolliert.

Professionelles Verhalten während behördlicher Untersuchung

Die visuelle Darstellung einer professionellen Haltung ist entscheidend. Ruhe bewahren, die Hände sichtbar halten und den Anweisungen der Ermittler im Rahmen des rechtlich Zulässigen Folge leisten, ohne dabei aktiv bei der Beweissuche zu helfen. Das Unternehmen hat das Recht, den Durchsuchungsbefehl zu prüfen und sicherzustellen, dass nur Dokumente und Daten beschlagnahmt werden, die vom Untersuchungsgegenstand gedeckt sind. Ein „Schatten-Team“ aus eigenen Mitarbeitern sollte den gesamten Prozess begleiten und kopieren, was die Ermittler mitnehmen.

Ein interner Notfallplan ist für diesen Fall unerlässlich. Wer ist der Hauptansprechpartner? Wer kontaktiert den Anwalt? Wie werden die Mitarbeiter instruiert? Die folgenden Verhaltensregeln sind kritisch:

  • Sofort den Anwalt kontaktieren: Bis zum Eintreffen des Anwalts haben alle Mitarbeiter das Recht zu schweigen.
  • Keine Daten löschen: Jede Form von Datenmanipulation nach Eröffnung der Untersuchung gilt als Beweisvereitelung und wird hart bestraft.
  • Umfang der Untersuchung prüfen: Verlangen Sie eine Kopie des Durchsuchungsbefehls und prüfen Sie, welche Dokumente und Zeiträume betroffen sind.
  • Keine informellen Gespräche: Führen Sie keine „Plausereien“ mit den Ermittlern. Jede Aussage kann im Verfahren verwendet werden.
  • Kooperation zeigen, nicht gestehen: Zeigen Sie sich kooperativ bei der Organisation (z.B. Bereitstellung eines Raumes), aber machen Sie keine voreiligen inhaltlichen Zugeständnisse oder Geständnisse.

Fehler, die in den ersten Stunden einer Razzia gemacht werden, sind später kaum noch zu korrigieren.

Wie gestalten Sie selektive Vertriebssysteme rechtssicher?

Für Hersteller von Marken- oder Luxusprodukten ist die Kontrolle über das Vertriebsumfeld entscheidend für das Markenimage. Ein selektives Vertriebssystem, bei dem nur autorisierte Händler die Produkte verkaufen dürfen, ist dafür ein legitimes Instrument. Es erlaubt dem Hersteller, qualitative Kriterien für seine Vertriebspartner festzulegen. Doch die Gestaltung eines solchen Systems ist eine Gratwanderung: Es darf nicht zu einer unzulässigen Marktabschottung führen. Die WEKO prüft solche Systeme sehr genau darauf, ob sie den Wettbewerb nicht übermässig einschränken.

Der Schlüssel zur Rechtssicherheit liegt in der Definition der Auswahlkriterien. Diese müssen objektiv, qualitativ und nicht-diskriminierend sein. Das bedeutet, jeder potenzielle Händler, der die Kriterien erfüllt, muss auch in das System aufgenommen werden. Die wegweisenden „Swatch-Urteile“ des Bundesgerichts haben hierfür klare Leitplanken gesetzt. Zulässige qualitative Kriterien können beispielsweise sein:

  • Die fachliche Qualifikation des Verkaufspersonals.
  • Die Qualität und das Ambiente der Ladengestaltung, die dem Markenimage entspricht.
  • Das Angebot von spezifischen Service- und Garantieleistungen vor und nach dem Kauf.
  • Anforderungen an die Warenpräsentation und Lagerhaltung.

Der grösste Fehler, den Unternehmen hierbei machen, ist die inkonsequente Anwendung. Wenn ein Hersteller auch nur eine einzige Ausnahme macht und einen Händler beliefert, der die offiziellen Kriterien nicht erfüllt, kann das gesamte selektive Vertriebssystem als unzulässig und diskriminierend eingestuft werden. Die Folge wäre, dass das Unternehmen gezwungen werden könnte, alle Händler zu beliefern, was das Ziel des Systems zunichtemacht. Es ist daher unerlässlich, die Anwendung der Kriterien rigoros zu dokumentieren und konsequent durchzusetzen.

Rein quantitative Beschränkungen, wie die Begrenzung der Anzahl Händler pro Region ohne qualitative Begründung, sind hingegen hochproblematisch. Ebenso kritisch sind Klauseln, die den Händlern den Online-Verkauf komplett verbieten oder den Verkauf über bestimmte Plattformen (z.B. Ricardo, Amazon) pauschal untersagen, ohne dass dies durch qualitative Anforderungen an die Online-Präsentation gerechtfertigt ist.

Ein sorgfältig aufgesetztes und konsequent umgesetztes selektives System schützt die Marke, ohne das Kartellrecht zu verletzen.

Die Klausel zur automatischen Verlängerung, die das Schweizer Gesetz (UWG) verbietet

Während viele kartellrechtliche Fragen komplexe Abwägungen erfordern, hat der Gesetzgeber in einem Bereich eine sehr klare rote Linie gezogen: automatische Vertragsverlängerungen in Konsumentenverträgen. Seit der Revision des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) ist es unzulässig, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) eine Klausel vorzusehen, die eine automatische Verlängerung eines unbefristeten Vertrags vorsieht, wenn der Konsument nicht rechtzeitig kündigt. Dies betrifft eine Vielzahl von Dienstleistungen wie Software-Abonnements, Fitnessstudio-Mitgliedschaften oder Streaming-Dienste.

Unternehmen sind nun verpflichtet, ihre Kunden rechtzeitig und in unmissverständlicher Form auf die bevorstehende Verlängerung und die Kündigungsmöglichkeit hinzuweisen. Geschieht dies nicht, kann der Konsument den Vertrag jederzeit und kostenlos kündigen. Für Unternehmen bedeutet dies eine zwingende Anpassung ihrer AGB und ihrer internen Prozesse. Versteckte Klauseln im Kleingedruckten sind nicht mehr haltbar.

Obwohl diese Regelung primär auf das Verhältnis zum Konsumenten (B2C) zielt, hat sie auch eine Signalwirkung für den Geschäftsverkehr (B2B). Wie das WEKA Redaktionsteam in ihrem Beitrag „WEKO: Organisation, Zuständigkeiten und Verfahren“ klarstellt:

Art. 8 UWG schützt primär Konsumenten vor automatischen Verlängerungen, aber die WEKO kann bei überlangen Vertragsbindungen im B2B-Bereich unter dem Kartellgesetz einschreiten, wenn diese zu Marktabschottung führen.

– WEKA Redaktionsteam, WEKO: Organisation, Zuständigkeiten und Verfahren

Ein B2B-Vertrag, der sich automatisch um mehrere Jahre verlängert und den Kunden so faktisch an einen Lieferanten bindet, kann als unzulässige Wettbewerbsbeschränkung gewertet werden. Unternehmen sind daher gut beraten, auch ihre B2B-Verträge auf überlange Bindungsfristen und unfaire Verlängerungsklauseln zu überprüfen.

Audit-Checkliste: Sind Ihre AGBs UWG- und KG-konform?

  1. Kontaktpunkte identifizieren: Listen Sie alle Verträge, AGBs und Online-Abonnement-Prozesse auf, die automatische Verlängerungsklauseln enthalten.
  2. Bestandsaufnahme durchführen: Klassifizieren Sie die identifizierten Verträge klar in B2C- (Konsumenten) und B2B- (Geschäftskunden) Verhältnisse.
  3. Rechtlichen Abgleich vornehmen: Stellen Sie sicher, dass alle B2C-Vertragsprozesse den neuen Transparenz- und Hinweispflichten von Art. 8 UWG entsprechen. Prüfen Sie B2B-Verträge auf überlange Bindungsdauern, die eine Marktabschottung bewirken könnten.
  4. Risikoanalyse erstellen: Identifizieren Sie Verträge mit dem höchsten Haftungspotenzial (z.B. lange Laufzeiten, hohe Vertragsvolumen, grosse Anzahl betroffener Kunden) und priorisieren Sie diese.
  5. Integrationsplan umsetzen: Passen Sie die Vertragsvorlagen und AGBs an. Implementieren Sie automatisierte Prozesse für die rechtzeitige Benachrichtigung von Konsumenten vor Vertragsverlängerung.

Transparenz in der Vertragsgestaltung ist nicht nur fair gegenüber dem Kunden, sondern auch der beste Schutz vor rechtlichen Konsequenzen.

Das Haftungsrisiko, das viele Schweizer Hersteller beim Export in die EU übersehen

Ein fundamentaler, aber oft übersehener Unterschied zwischen dem Schweizer und dem EU-Kartellrecht ist das Prinzip der Muttergesellschaftshaftung. Nach EU-Recht bildet eine Muttergesellschaft mit ihren Tochtergesellschaften eine einzige wirtschaftliche Einheit. Das hat eine dramatische Konsequenz: Der Mutterkonzern haftet vollumfänglich für die Kartellrechtsverstösse seiner EU-Tochtergesellschaften, selbst wenn die Zentrale in der Schweiz von dem Verstoss keine Kenntnis hatte und nicht direkt involviert war.

Diese Haftung ist nicht auf das Vermögen der Tochtergesellschaft beschränkt. Die EU-Kommission kann eine Busse von bis zu 10 % des weltweiten Gesamtumsatzes des gesamten Konzerns verhängen. Für einen diversifizierten Schweizer Konzern kann ein Verstoss in einem kleinen EU-Marktsegment somit existenzbedrohende Folgen für die gesamte Gruppe haben. Dieser Grundsatz steht im scharfen Kontrast zum Schweizer Recht, wo eine solche konzernweite Haftung nicht in dieser Form existiert.

Fallbeispiel: Muttergesellschaftshaftung für Schweizer Konzerne in der EU

Ein Schweizer Konzern mit diversen Geschäftsbereichen besitzt eine kleine Tochtergesellschaft in Italien, die Komponenten für die Automobilindustrie vertreibt. Der lokale Geschäftsführer dieser Tochtergesellschaft nimmt an einem Preiskartell mit italienischen Wettbewerbern teil. Die Schweizer Konzernleitung weiss davon nichts. Als das Kartell auffliegt, verhängt die EU-Kommission eine Busse. Diese bemisst sich nicht am Umsatz der kleinen italienischen Tochter, sondern am weltweiten Gesamtumsatz des Schweizer Mutterkonzerns. Laut einer Publikation von Otto Schmidt zum Thema Kartell-Compliance stellt dies eine massive, oft unterschätzte Gefahr dar, gerade für exportorientierte KMU, die den Schritt in die EU wagen.

Für Schweizer Unternehmen mit EU-Aktivitäten ist es daher unerlässlich, ein konzernweites Compliance-Programm zu implementieren, das auch die Tochtergesellschaften erfasst und kontrolliert. Zudem müssen Vertriebsverträge mit EU-Distributoren spezifische Klauseln enthalten, um das Risiko zu minimieren. Dazu gehören:

  • Die explizite Verpflichtung des Vertriebspartners zur Einhaltung des EU-Wettbewerbsrechts.
  • Eine Haftungsfreistellungsklausel, die den Hersteller bei Kartellverstössen des Distributors schützt.
  • Audit-Rechte, die es dem Hersteller erlauben, die Compliance des Vertriebspartners zu überprüfen.
  • Ein ausserordentliches Kündigungsrecht für den Fall von nachgewiesenen Compliance-Verstössen.

Wer in der EU Geschäfte macht, spielt nach EU-Regeln – mit allen Konsequenzen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Informelle Kontakte sind riskant: Schon der blosse Austausch von strategischen Informationen mit Wettbewerbern, auch ohne explizite Preisabsprache, kann von der WEKO als Kartell gewertet werden.
  • Doppeltes Risiko im Export: Schweizer Unternehmen, die in der EU tätig sind, unterliegen dem strengeren EU-Wettbewerbsrecht und dem Prinzip der Muttergesellschaftshaftung, das Bussen auf Basis des weltweiten Konzernumsatzes ermöglicht.
  • Prozesse sind entscheidend: Ein kühler Kopf und ein klar definierter Notfallplan für eine WEKO-Hausdurchsuchung sind entscheidender als voreilige Kooperationsversuche. Datenlöschung ist der grösste Fehler.

Wie exportorientierte Schweizer Firmen trotz starkem Franken ihre Margen schützen?

Der starke Schweizer Franken setzt exportorientierte Unternehmen permanent unter Margendruck. Die naheliegende Reaktion, die Preise im Ausland zu erhöhen oder den Vertrieb so zu steuern, dass günstigere Produkte aus dem Euroraum nicht zurück in die Schweiz fliessen (sogenannte Parallelimporte), führt schnell in kartellrechtliche Fallen. Das Verbot von Parallelimporten ist eine der härtesten Kernbeschränkungen im Wettbewerbsrecht und wird von der WEKO entsprechend streng geahndet.

Ein Unternehmen, das seinen europäischen Händlern vertraglich verbietet, Produkte an Kunden in der Schweiz zu verkaufen, begeht einen schweren Kartellrechtsverstoss. Eine solche geografische Marktaufteilung wird als besonders schädlich für den Wettbewerb und die Schweizer Konsumenten angesehen. Die Konsequenzen sind drastisch: Eine solche Handlung kann mit bis zu 10 % des in den letzten drei Geschäftsjahren in der Schweiz erzielten Umsatzes sanktioniert werden. Der Versuch, die Marge zu schützen, kann so zum finanziellen Ruin führen.

Es gibt jedoch legale Strategien, um mit dem Währungsdruck umzugehen, ohne das Kartellrecht zu verletzen. Der Schlüssel liegt darin, die Preisdifferenzierung nicht künstlich durch Verbote, sondern durch echte produkt- oder leistungsbezogene Unterschiede zu rechtfertigen. Die folgende Gegenüberstellung zeigt legale und illegale Ansätze:

Legale vs. illegale Währungsstrategien
Strategie Legal Illegal (Kartellverstoss)
Preisanpassung Unterschiedliche Produktversionen für CH/EU Direkte Kopplung der Händlerpreise an den Wechselkurs
Marktaufteilung Verschiedene Servicepakete für CH- und EU-Kunden Verbot von Parallelimporten
Preisdifferenzierung Begründet durch unterschiedliche Kosten (Zoll, Service) Preisabsprachen mit Händlern zur Stabilisierung

Eine legale Strategie wäre beispielsweise, für den Schweizer Markt eine Produktversion mit einem erweiterten Garantie- oder Servicepaket anzubieten, was einen höheren Preis rechtfertigt. Eine andere Möglichkeit ist die Schaffung unterschiedlicher Produktlinien oder Marken für verschiedene geografische Märkte. Was jedoch niemals zulässig ist, ist die direkte oder indirekte Absprache mit Händlern oder Wettbewerbern, um den Markt abzuschotten und Preisniveaus künstlich hochzuhalten.

Der Schutz der eigenen Marge in einem anspruchsvollen Währungsumfeld erfordert Kreativität und strategische Weitsicht, nicht rechtliche Abkürzungen. Die Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Strategien ist dabei von existenzieller Bedeutung.

Beginnen Sie noch heute mit einer internen Überprüfung Ihrer Vertriebs- und Vertrags-prozesse. Eine proaktive Compliance-Strategie ist der einzig nachhaltige Weg, um Ihr Unternehmen vor den empfindlichen Sanktionen der WEKO zu schützen.

Geschrieben von Sophie Keller, Rechtsanwältin und Compliance-Spezialistin mit Fokus auf Wirtschaftsrecht und bilaterale Verträge Schweiz-EU. Expertin für Vertragsrecht, Wettbewerbsrecht (WEKO) und regulatorische Fragen im grenzüberschreitenden Handel.